Konzentration des Existentiellen

Janina Herhoffer im Filmgespräch mit Oliver Baumgarten

Ein Interview mit der Gewinnerin des Filmstiftung NRW Schnitt Preis Spielfilm 2015, Janina Herhoffer, ausgezeichnet für die Montage von Jack, Regie: Edward Berger

Oliver Baumgarten: Jack ist überwiegend in Plansequenzen gedreht – welche Grundsituation ergibt sich da für einen Editor?
Janina Herhoffer:
Beim Arbeiten mit Plansequenzen muss sich, wie ich finde, die Montagearbeit in mancherlei Hinsicht vom intuitiven Arbeiten mit dem Material zum eher analytischeren Umgang verlagern. Während man sich bei Filmen mit stärker aufgelösten Szenen immer wieder dem Material überlassen kann und anschließend überprüft, inwiefern sich das Intendierte im Schnitt einlöst, haben wir bei Jack inhaltliche und rhythmische Entscheidungen auch sehr stark aus dramaturgischen Überlegungen heraus entschieden. Was ist beispielsweise die Kernhandlung einer Szene, braucht sie Zeit, sich atmosphärisch und emotional zu entfalten oder erfordert die Dramatik der Erzählung es eher, direkt in die Handlung hinein zu gehen? Da man so sehr auf das innerszenische Tempo zurückgeworfen ist, verlagert sich vieles, etwa auf den Ein- und Ausstieg in die Szenen und auf die Tonebene, um einen bestimmten Moment zu unterstreichen oder freizustellen, Dynamik oder Ruhe zu erzeugen… Wir haben auch sehr stark mit den Dialogen gearbeitet, uns aus vielen Takes die emotional stimmigen Haltungen gesucht.

Wieviele Takes wurden von den Sequenzen in der Regel gedreht? Wie groß war die Auswahl?
Mit Kindern kann man ja nicht sehr oft wiederholen, es waren meist zwischen drei und neun Takes.

Wie sind schneller geschnittene Szenen wie die in der heißen Badewanne entstanden?
Diese Szene ist mehrmals komplett gedreht worden, mit einigen wenigen zusätzlichen Pickups von dem Moment, in dem Jack versucht, Manuel zu beruhigen. Es war klar, dass eine so emotionale Szene nur begrenzt oft wiederholt werden kann, sonst wäre sie sicher geplant aufgelöst worden.

 Ivo Pietzcker in der Titelrolle von Jack

Inwieweit konntest Du bei dieser Arbeitsweise in der Montage dramaturgische Änderungen zum Drehbuch vornehmen? Hast Du Beispiele, in denen dies nötig wurde?
Wir haben im Prozess das äußerliche Drama immer stärker auf das ganz basale, existentielle Drama von Jack konzentriert. Von manchen Szenen haben wir uns deswegen ganz verabschiedet, weil sie zu stark von ihm weggeführt haben, bzw. von seinem emotionalen Zustand. Es gab beispielsweise eine Szene, in der Jack seinen Bruder bei der Polizei vermisst meldet, nachdem er ihn im Kaufhaus unwillentlich zurückgelassen hat. In der Situation befürchtet er, von der Polizistin als Ausreißer erkannt zu werden und entschließt sich, abzuhauen. Die Szene hat gut funktioniert, war gut gedacht und spannend, führte aber trotzdem zu weit weg von dem tiefen Schrecken und der großen Verzweiflung Jacks, seinen Bruder verloren zu haben und nicht zu wissen, ob er ihn wiederfinden wird.

Die Kinder spielen großartig – wie hast Du das in der Montage unterstützen können?
Edward Berger, dem Regisseur, und Kameramann Jens Harant war es wichtig, während der ersten Drehtage zu überprüfen, ob es aufgeht, mit den Kindern in Plansequenzen zu arbeiten und wie sich die beiden Hauptdarsteller vor der Kamera verhalten. Ivo Pietzcker, der Jack spielt, hat wirklich ein erstaunliches Talent und er war durch die Arbeit mit der Regie und der Kinderbetreuung meist in der Lage, in einem der Takes etwas herzustellen, was eindringlich und kraftvoll war, etwas anzubieten, mit dem wir arbeiten konnten. Natürlich war das dann nicht immer der Take, in dem auch alles andere stimmte… Jacks Bruder, gespielt von Georg Arms, der ja noch mal viel jünger ist, war vor allem sehr gut darin, zu gehen, zu schlafen, zu essen, war physisch sehr präsent. Darauf haben wir uns dann konzentriert.

Kannst Du uns etwas zum Musikeinsatz sagen: Die sparsam verwendete Musik schwingt sich in einigen Momenten zu dramatischen Höhepunkten auf...
Wir haben während der Montage viel mit Temp-Musiken gearbeitet und uns dann in der endgültigen Fassung noch mal von vielen Stücken verabschiedet. Das erste Stück kommt jetzt relativ spät im Film, in dem Moment, in dem Jack zum ersten Mal wirklich innehält, durch die Umstände aufgehalten wird und nicht mehr weiter weiß. Die Musik wird dadurch als dramatischeres Element sehr wahrnehmbar, versucht nicht sich einzuschleichen, sondern nimmt sich den Raum, diesen Moment zu betonen.

Interview: Oliver Baumgarten

Ivo Pietzcker und Georg Arms spielen das junge Brüderpaar, das eine Odyssee durch Berlin bestehen muss