Laudatio von Dominik Graf

Die Laudatio von Regisseur Dominik Graf auf Schnittmeisterin Christel Suckow anlässlich der Eröffnung von Filmplus am 23. Oktober 2015:

Liebe Gäste, guten Abend.

Liebe Christel, Du hast mein berufliches Leben geprägt. Du hast meinen Abschlussfilm 1978 geschnitten, Du hast meinen einzigen ordentlichen Publikumserfolg im Kino, 1987, und danach noch viele andere meiner Filme geschnitten, Du arbeitest schon jahrelang mit Rainer Kaufmann, mit Jobst Oetzmann, mit Sherry – Sherry Hormann – mit Maris Pfeiffer, Du hast mit Robert van Ackeren und Peter Timm gearbeitet… Du hast diesen Preis, den Du heute Abend bekommst, Christel, so dermaßen verdient, dass es schon wehtut.

Wir beide haben in vielen Momenten im Schneideraum unser Denken und Fühlen gleichgeschaltet, erinnere Dich an die Casino-Montage in Spieler, die wir in einem einzigen stundenlangen Arbeitsrausch in Doppel- und Dreifach-Überblendungen geschnitten haben und die wir nach diesem Abend dann auch nie mehr geändert haben…

Du hast so viele meiner Szenen verbessert, die mir beim Drehen nicht gelungen waren, die mir entglitten waren, wir haben viele Biere zusammen getrunken, wir haben uns selten, aber manchmal dann doch und nur ein bisschen in die Haare gekriegt. Aber meistens nur, weil von außen Druck auf dem Kessel war, weil Ungeduld mit Abgabeterminen im Schneideraum stand. Oder weil es Ärger im Mischstudio gab, wo damals, in den Achtzigern, Dein bestimmtes Auftreten für kleinste Ton-Details, für akustische Fetzen, von denen Du wusstest, dass sie da waren, die Du hören wolltest, weil Du daran gearbeitet hattest, damit sie hörbar waren... Dein sachliches aber eindeutiges Auftreten, manchmal wie eine kämpfende Löwin – das war damals in der Männer-Domäne Tonmischung noch völlig unerwartet.

Szenen schneiden mit Dir – neu schneiden, umschneiden wie auch immer – ist wie Action am Drehort. Deine handwerkliche Virtuosität konnte man an den alten Schneidetischen noch ganz deutlich beobachten.

Ehrenpreistraegerin Christel Suckow lauschte begeistert den Worten von Dominik Graf...

Ein geradezu ästhetisches Erlebnis war das, so wie es Michael Althen nach seinem Besuch in unserem Schneideraum damals bei den Siegern, 1993, beschrieben hat. Er schrieb:

"...Im Augenblick wird bei den "Siegern" zum Teil an zwei Schneidetischen gleichzeitig gearbeitet, auf dem einen gesichtet, auf dem anderen geschnitten. Zwei Assistenten sind da, die jederzeit wissen, welche Einstellung wie oft gedreht wurde, und vor allem, wo die einzelnen Aufnahmen zu finden sind. Sie haben die Filmstreifen auch sofort zur Hand und reichen sie weiter an Christel Suckow, die Cutterin. Und das ist der Moment, wo sich die schlichte Arbeit in eine Art Ballett verwandelt.

Den Film einfädeln, die verschiedenen Enden zusammenkleben, die Tonspur an die richtige Stelle fahren, das scheint für die Cutterin alles eins zu sein. Während sie das eine Ende des Streifens in der Klebepresse an das vorhergehende Stück legt, wirft sie sich das andere Ende mit einem Schwung über die Schulter, um dann es dann beim Aufspulen durch die Hand abrollen zu lassen. Und beinahe gleichzeitig verlängert sie die braune Tonspur mit hellblauem Band, um jene Stellen zu überbrücken, für die noch kein Ton vorliegt. Und irgendwie wirkt sie dabei wie eine jener indischen Göttinen, denen mindestens sechs Arme gewachsen sind. Allerdings mit weißen Handschuhen."

Ja, der Michael konnte die Arbeit in unserem Beruf beschreiben, weil er hinsah und weil er liebte was er sah!

Du hast Dich auch manchmal im Schneideraum gleichsam eingeschlossen, alleine mit den Bildern, so wie damals mit den Dutzenden von Benedict Neuenfels gedrehten Pupillen und Augen, die dann mit der vom Autor Günter Schütter verlangten gewaltigen Verdischen "Dies Irae"-Musik in aberwitzigem Rhythmus die Titelmontage unseres Films Der Skorpion bildeten, eine Montage wie man selten eine gesehen hat.

Was hat der Regisseur dazu getan? Nichts. Er hat sich das Endergebnis angesehen und war mehr als beeindruckt und dankbar. So soll‘s ja auch sein…

Und dann gab es diesen Tag, an dem Du ganz alleine die Schlussszene der Katze, des Films, den wir nachher sehen, geschnitten hast. Diese Szene sollte ja raus. Damals war den Entscheidern in der Bavaria natürlich völlig klar, "dieser Film muss mit Götz Georges Tod, mit dem Tod des Stars enden". Wir waren anderer Ansicht, denn da gab es noch eine kleine Szene, völlig chaotisch gedreht, mit nur fünf Mann im Team, die einzige Nachtszene des ganzen Films...

Der Eroeffnungsfilm DIE KATZE erstrahlte als 35mm-Kopie auf der Leinwand des Filmforum NRW

Wir waren immens unter Zeitdruck, der Film hatte einen absolut festen Starttermin, alles war zeitlich extrem knapp, die Trailer liefen schon im Kino... der Film musste fertig werden. Die Katze war vielleicht der schwerste Film unserer Zusammenarbeit, weil wir beide vorher eine solche Orgie von X Perspektiven auf ein einziges Geschehen niemals in der Hand gehabt hatten – ich noch nie gedreht, Du noch nie geschnitten. Wir waren unerfahren mit Action, wir lernten an dem Film zusammen, wir beide – Du damals noch vom BR ausgeliehen wie man im Profifußball Stars verleiht, ich völlig überfordert mit dem ganzen Projekt.

Du hast das sehr dispersive Material dieser kleinen Schlussszene, die dem Tod des Stars Götz George in der Düsseldorfer Hotellobby noch folgen sollte, nach heftigsten Auseinandersetzungen der Entscheider – auch untereinander – Dir dann einfach genommen und hast das Material innerhalb von ein, zwei Stunden in eine fantastische, fragmenthafte, du hast dieses Material… Trotz des Geschreis und der Prügelandrohungen des Ehepaars, die man im Bild sieht, Gudrun Landgrebe und Uli Gebauer – in eine beinahe heitere Schlussszene verwandelt.

Entscheidend war dabei Deine Verwendung von zwei U-Bahn-Bildern, die am Drehort dieser Szene im Hintergrund fast futuristisch durch die Wohnblöcke in der Nähe geglitten waren, einmal hin, einmal her... die ich dort hatte drehen lassen, vielleicht als Establishingshots für die Szene, als das Licht für die Schauspieler noch aufgebaut wurde – und daraus hast Du eigentlich die Szene gemacht.

Denn die Szene schwebte, sie war unerwartet schnell, impressionistisch sprunghaft fast, sie hatte keinen klaren Zeitablauf. Es waren Mini-Zeitsprünge, so wie ein paar Jahre später bei "Dogma" zu sehen, eine völlig neue Schnitt-Art, ich – und alle anderen bei dem Film auch, aber die anderen haben es natürlich nicht zugegeben – ich hatte so etwas noch nie gesehen.

Die Szene durfte drin bleiben. Sie wurde zu einem der Schlüsse in meinen Filmen, auf die ich wirklich stolz bin, vielleicht sogar auf diesen bis heute noch am stolzesten. Ich glaube auch, dass Du der Ausstrahlung, die der Film damals auf die Zuschauer hatte, damit nochmal einen richtigen Schub gegeben hast. Sie kamen statt mit teutonischem Action-Pathos und Kraut-Rock-Tragik, mit einem sarkastisch-fröhlichen, kleinen, bösen Lächeln aus dem Kino.

Seitdem weiß ich, Du kannst weben. Du kannst eine Szene zu einem Teppich machen, mit untergründigem Muster und parallelen inneren Abläufen, Du hast eine seltene Musikalität, Du verwandelst – egal ob einfach oder ob komplex gedrehte – Szenen in eine Art rhythmisches Hologramm. Das ist einmalig. Das ist eine große Kunst.

Und davon träumen wir Regisseure doch alle, dass im Schneideraum jemand sitzt, der das Zeug, das wir dort hinschicken, dass die Cutterin – oder der Cutter – diese Wagenladungen von Material… dass sie wie im Märchen die Müllerstochter all das Stroh mit zaubernden Händen in Gold verwandelt.

Christel, ich danke Dir für all unsere wunderbaren Arbeiten und für Deinen leidenschaftlichen Einsatz, Du bist ein Vorbild für die Branche, in der wir arbeiten, ich gratuliere Dir und ich wünsche Dir, dass Du diesen Abend genießt. 

Oliver Baumgarten, Christel Suckow, Nikolaj Nikitin und Dominik Graf - backstage