Neue Bilder montieren
Ein Interview mit dem Editor Sebastian Mez, Gewinner des MMC Movies Förderpreis Schnitt 2015 für Substanz (Regie: Sebastian Mez).
Werner Busch: Kurz nach der
Katastrophe in Japan im März 2011 bist du dorthin geflogen und hast die Bilder
der Zerstörung aufgenommen, die wir in Substanz sehen. Wie sah die Arbeit
anschließend im Schnitt aus?
Sebastian Mez: Nachdem ich mit dem gedrehten Material zurück nach
Deutschland gekehrt bin und mich im Schnittraum intensiv damit beschäftigt
habe, gelangte ich an einen Punkt, an dem ich zum ersten Mal in meiner Zeit als
Filmemacher „aufgegeben“ habe. Es ist mir nicht gelungen, einen Zugang zu all
diesen Bildern zu finden. Stattdessen drehte ich ein paar Monate später meinen
ersten Langfilm Metamorphosen. Zwei Jahre später jedoch hatte ich das starke
Bedürfnis, mich erneut mit dem Material aus Japan zu konfrontieren. Diesmal jedoch
war ich vollkommen frei und ungezwungen, konnte mich dem Footage auf einer anderen,
abstrakteren Ebene nähern. Das Ergebnis dieses Prozesses ist Substanz.
Du hast dich also von
ursprünglichen Konzepten im Schneideraum verabschiedet und – wie man so schön
sagt – „das Material sprechen lassen“?
Mit jedem Bild verband ich natürlich auch nach zwei Jahren
Abstand noch immer bestimmte Gefühle, Geschichten und Erinnerungen vom Dreh.
Insofern konnte ich meine Funktionen als Regisseur und Kameramann gar nicht
ausblenden. Trotzdem gibt es einen ganz entscheidenden Vorteil bei all den
Nachteilen einer „Ein-Mann/Frau-Crew“: Es setzt sich immer der richtige Part
durch. In diesem Falle hat sich der Filmeditor durchgesetzt und zum Regisseur
gesagt: „Lass uns doch mal was ganz Neues probieren und das Ursprüngliche
hinter uns lassen.“ Ich kenne die Phrase „das Material sprechen lassen“ nicht,
doch sie wirkt wenig überzeugend. Ebenso wird ja auch immer gesagt: „es steckt
nur ein Film im Material“. Aber es ist doch vielmehr so, dass Filmeditoren oder
Filmemacher mithilfe des Materials ihrer eigenen, filmischen Sprache Ausdruck verleihen
wollen. Wenn diese eigene, filmische Sprache jedoch nicht existiert, es keinen Kontext
gibt, keine Haltung, dann ist das Filmmaterial einfach nur leblose Masse.
Sehr nachdrücklich in
Erinnerung bleiben die komplexen, fließenden, sich veränderten
Bild-in-Bild-Montagen der Zerstörung, die wie abstrakte Gemälde anmuten. Kannst
du ganz konkret beschreiben, wie diese entstanden sind
Die Arbeit war ein wenig zweigeteilt: Zum einen gab es eine
Komposition, bestehend aus den Bildern der Zerstörung vor allem im Norden von
Japan. Diese statischen Bilder habe ich ineinanderfließen lassen, mit sehr
langen Blenden, bis hin zu 30 Sekunden. Die Blende als Gestaltungsmittel fand
ich schon immer sehr spannend, ist sie doch zu Unrecht sehr schlecht
konnotiert. In diesem Zusammenhang fand ich die Blende als Hauptelement sehr
spannend und habe angefangen, damit zu experimentieren. Dadurch, dass sich die
Bilder der Zerstörung ja sehr stark ähneln, wollte ich herausfinden, was passiert,
wenn man sie zusammenfließen lässt. Welches Bild entsteht dadurch und was vermittelt
es mir? Der zweite Teil des Films besteht hauptsächlich aus Aufnahmen des täglichen
Lebens in Tokio, zu einer Zeit, als Pläne geschmiedet wurden, wie man die 35-Millionen-Metropole
innerhalb von wenigen Tagen evakuieren kann. Mich hat die Schnelligkeit und die
scheinbar gleichgültig anmutende Gelassenheit der Japaner in der Großstadt
schockiert und fasziniert zugleich. Insofern entwickelte sich im zweiten Teil des
Films eine ganz andere Dynamik, geprägt von vielen einzelnen Sinneswahrnehmungen,
die sich zu einer schnell deformierenden Kollage zusammenfügen. Technisch
gesehen habe ich hierbei nicht nur mit Überblendungen, sondern auch mit
Maskierungen einzelner Bilder gearbeitet.
Auch dein vorheriger
Film Metamorphosen widmete sich – auf ästhetisch andere Art – dem Thema
atomarer Verstrahlung. Was fasziniert dich daran und wie versuchst du diese
unsichtbare Gefahr in dem „sichtbaren“ Medium Film zu zeigen?
Der Auslöser für das Interesse an dieser Thematik waren
natürlich die schlimmen Ereignisse in Japan. Dass Radioaktivität im Grunde
nicht sichtbar oder spürbar ist, war filmisch gesehen eine Herausforderung und
gleichzeitig auch eine große kreative Freiheit, mit ihr zu spielen. In Japan
war die Katastrophe sehr viel komplexer und vor allem gegenwärtiger. Die
Menschen mussten nicht nur mit einer drohenden, nuklearen Katastrophe umgehen,
was schon schlimm genug ist, sondern auch mit den Folgen der Verwüstung des
Tsunamis, der viele Menschenleben gekostet hat. Deshalb ist meine Empfindung,
dass sich die Bilder der komplett verwüsteten Landschaften im Norden Japans in
ihrer Direktheit natürlich viel einfacher mit einer Katastrophe verbinden
lassen, als in Russland ein langsamer Schwenk über eine wunderschöne
Schneelandschaft, in der alles friedlich zu sein scheint. Metamorphosen funktioniert jedoch genau deswegen sehr gut, da es diesen Kontrast zwischen der
Schönheit der Bilder und der radioaktiven Gefahr dahinter gibt. In beiden
Arbeiten ist die Tonebene besonders signifikant. Im Falle von Substanz habe
ich während des Montageprozesses angefangen, mit Tönen aus Japan, teilweise
aber auch mit künstlich erzeugten Klängen zu experimentieren. Die Tonspur
sollte hierbei eine eigenständige Ebene bilden, die mit den Bildern in Dialog
tritt, statt sie zu bedienen.
Die Bilder von Fukushima
haben sich in das kollektive Gedächtnis der Welt gebrannt. Diese bekannten
Bilder vermeidest du aber nahezu vollständig. War es dein Anspruch, die
Katastrophe durch neue, andersartige Bilder begreifbarer zu machen?
In den Wochen nach der Katastrophe gab es eine regelrechte
Gehirnwäsche der Medien mit den Bildern aus Fukushima. Wie ich vorher erwähnte,
war es sehr gängig, diese sehr ungreifbare radioaktive Gefahr mit den sehr
konkreten Zerstörungsbildern aus dem Norden zu bebildern. Das war auch einer der
Gründe, wieso ich mit meinem gedrehten Material so lange gekämpft habe. Erst
die Distanz und der Versuch eine neue Substanz in den Bildern zu entdecken,
haben mir geholfen. Wir sind von zu vielen Bildern ohne Haltung umgeben. Man
möchte möglichst viele Menschen auf einfache Art und Weise erreichen, will niemanden
vor den Kopf stoßen. Und genau an dieser Stelle fängt für mich meine Verantwortung
als Filmemacher an, ein „klares“ Bild hinsichtlich meiner Haltung und meiner Position
zum Sujet zu kreieren.
Interview: Werner Busch
_____________________________________________
Die Jury vergab in der Förderpreis-Sektion außerdem eine lobende Erwähnung an den Film Blaulicht, montiert von Thaïs Odermatt, Lena Mäder und Roman Hodel: "Wir beobachten Rettungssanitäter im Einsatz. Ihre Gegenüber, die Patienten, die sie versorgen, bleiben ausgespart. Das Ausmaß an körperlicher und seelischer Verletzung, wird gerade dadurch erst sichtbar. Obwohl es um Menschen geht, die sich ständig an der Grenze zum Tod bewegen und damit ihrer medizinischen und menschlichen Hilflosigkeit ausgeliefert sind, lässt diese Verdichtung einen Sog entstehen, der uns mit einem zutiefst lebensbejahenden Gefühl zurücklässt", so die Jury.