Wir trauern um Thea Eymèsz

Am 18. September 2015 ist die Filmeditorin Thea Eymèsz in München verstorben. Im Jahre 2004 widmete ihr Filmplus die Hommage und begrüßte sie im Kino OFF Broadway zu zahlreichen Filmgesprächen. Mit kreativer Lust und großer Lebendigkeit erzählte sie uns in Köln, wie sie Rainer Werner Fassbinder in dessen ersten Schaffensjahren als Editorin zur Seite stand, wie sie mit Erwin Leiser, Helmut Dietl und Dieter Wedel arbeitete und in ihrer umfassenden Karriere stets zwischen Spiel- und Dokumentarfilm wechselte.

Peer Raben war es, der die junge Editorin Thea Eymèsz eher zufällig mit einem der ersten Filme Rainer Werner Fassbinders zusammenbrachte. Thea Eymèsz, die Anfang der 60er Jahre als gelernte Fotolaborantin im Trickstudio der Bavaria bei Theodor Nischwitz – heute nicht zuletzt bekannt durch seine unvergessenen Effekte für die TV-Serie Raumpatrouille Orion – begonnen hatte, war seit 1964 als freiberufliche Editorin tätig. Sie war nie Assistentin gewesen, hatte das Schnitthandwerk über die Praxis erlernt und durch die Montage zahlloser Industriefilme und kleinerer Dokumentationen ihre künstlerische Intuition erworben.

Mit Götter der Pest traf sie 1968 dank erwähnten Zufalls auf das Werk eines jungen Filmemachers, das sie für die kommenden fast zehn Jahre mitgestalten sollte. Der Komponist Peer Raben saß eines Tages in einem Münchner Tonstudio an der Synchronisation von Götter der Pest und hatte sich buchstäblich in den Schleifen des Films verfranst. Er klopfte im Studio nebenan, wo Thea Eymèsz an der Synchronisation eines Films saß, und bat um Hilfe. Eymèsz setzte den Film zusammen, der Rest ist Geschichte: Als eine von Fassbinders Konstanten begleitete sie seine Entwicklung von da an mit Filmen von Warnung einer heiligen Nutte (1971) über Angst essen Seele auf und Effi Briest (1974) bis zu Satansbraten (1976), eines von Fassbinders künstlerischen Höhepunkten. Fassbinder hatte der dramaturgischen Entwicklung seiner Drehbücher nie übermäßig viel Zeit gewidmet, doch in Thea Eymèsz hatte er seine zweite erzählerische Instanz gefunden. Sie war Komplizin seiner schwelenden Kreativität und gleichsam Korrektiv seines atemlosen Schaffens. Zu Götter der Pest sagte Fassbinder einmal im Scherz: “Ursprünglich war der Film anders gedacht, aber als sie die Schleifen zusammengesetzt hat, brachte sie das Material einfach in eine andere Reihenfolge!“

Während dieser Zeit, als sie einen Film Fassbinders montierte, während er bereits den nächsten drehte, traf sie den Regisseur erst wieder beim ersten Rohschnitt im Schneideraum wieder. Auch die weiteren wesentlichen Schaffenshöhepunkte ihres Werks, vor allem die 15 Filme umfassende Zusammenarbeit mit dem Dokumentarfilmer Erwin Leiser, entstanden in dieser Herangehensweise. Filme mit historischem Hintergrund wie Hiroshima – Erinnern und Verdrängen oder Die UFA – Mythos und Wirklichkeit brillieren nicht zuletzt dank ihrer Quellenvielfalt und damit einer Materialfülle, der Eymèsz überwiegend alleine Herr werden musste. Ähnliches gilt für die zahlreichen Künstlerporträts Erwin Leisers wie James Rosenquist oder Das hungrige Auge – Avigdor Arikha

Thea Eymèsz und Oliver Baumgarten bei Filmplus im November 2004

So wie Fassbinder in Genres und Stilen, Atmosphären und Sujets wechselte, so bewahrte sich auch Thea Eymèsz stets eine breite Vielseitigkeit in ihrem Arbeitsfeld. Das gleichberechtigte Nebeneinander von Kinofilm, Serie, TV-Film, Kurzfilm oder Dokumentation zeichnet ihr weit über 200 Titel fassendes Œuvre nachdrücklich aus. Für jedes Projekt, sagt sie selbst, habe sie immer ihr Bestes gegeben. Schließlich verlangt auch eine Fernsehserie, wie sie Eymèsz etwa mit Helmut Dietl (Der ganz normale Wahnsinn) oder Hans-Christian Müller (Fast wie im richtigen Leben) gemacht hat, letztlich dasselbe Maß an handwerklicher Perfektion, künstlerischer Entscheidungskraft und kreativer Intuition wie ein Spielfilm. 

Selbstdarstellung war Thea Eymèsz’ Sache nicht, selbst auf Festivals hat sie ihre Filme persönlich nie begleitet. Um so schöner, dass sie im Jahre 2004 für Filmplus eine Ausnahme gemacht hat und ihre Erlebnisse und Erfahrungen mit uns geteilt hat. Mit großer Dankbarkeit und Zuneigung gedenken wir Thea Eymèsz und werden unsere enorme Wertschätzung für ihr filmisches Erbe niemals ablegen.

Oliver Baumgarten

Unser Hommage-Interview lesen Sie hier.

 

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